In der euphorischen Gemengelage von überraschender Neuigkeit, bunter Beamer-Präsentation, zahlreichen Postern an Stellwänden und eines mit der sprichwörtlich heißen Klebepistole gebauten Einkaufscenter-Modells ging selbst bei Klaus Schmitz-Gielsdorf(pl) die Präzision etwas abhanden. „Den Bauantrag reichen wir kurzfristig ein“, sagte Gothas Bürgermeister sinngemäß – und wir haben ihn so zitiert. In diesem Moment schlug ganz offenbar das Herz des studierten Architekten in ihm. Natürlich muss der Investor den Bauantrag einreichen und nicht die Stadt.
Kontroverse Diskussion
Vielleicht spiegelt sich darin aber auch ein Funke jenes in Gotha so seltenen und nun erstmals wieder verspürten Gemeingefühls. Das war im Stadtrat so – und das ist zumindest der Grundtenor des ersten Echos auf die Nachricht, wonach statt des bisher geplanten Einkaufscenter-Monoliths an der Gartenstraße ein offener Erlebnis- und Einkaufspark entstehen soll.
Sehr gegensätzliche Diskussionen gibt es noch immer.
In den Internetkommentaren zu unserer Berichterstattung ist etwa zu lesen: „Ist Gotha jetzt gerettet dadurch? Warum wird diesem durchschnittlichen Kino-Standardbau solches Potenzial zugesprochen?“
Sogar Satire wird versucht: „Das Einkaufszentrum wird nicht mehr gebaut, stattdessen fahren einkaufswillige Gothaer weiter nach Erfurt .“ Oder: “ Gothas Innenstadthändler lehnen sich zufrieden zurück. Bau des Einkaufszentrums erfolgreich verhindert. Läden bleiben leer.“
Und es bleiben Fragen.
Wie jene nach den bereits gefassten Stadtratsbeschlüssen zum Center: „Die sind doch in der Welt, können die jetzt einfach ignoriert werden?“
Sehr sachliche Anmerkungen kommen von den Piraten, die sich weiter am Dialog der Stadtentwicklung beteiligen wollten. Gerrit Jeron , Kandidat für den Stadtrat, sagte: „Es ist erfreulich, dass von der Altstadtgalerie Abstand genommen wird. Jede Investition in Richtung Sortimentsergänzung steigert die Attraktivität der Innenstadt. Das bestätigt unsere Auffassung, die wir seit drei Jahren vertreten.“
Andreas Dötsch , Pirat und Innenstadthändler, sagte selbstkritisch: „Auch den lokalen Einzelhandel sehen wir in der Pflicht, mit Bedarfsanpassungen, Sortimentsspezialisierungen, einheitlichen Öffnungszeiten und einer allgemeinen kundengerechten Position einer Kaufkraftabwanderung entgegen zu wirken und somit für die Belebung Gothas beizutragen.“
Schließlich schrieb Wim Negelen bei Facebook: „Dieser neue Vorschlag der Stadtverwaltung, das ist doch das, wo die Vernunft hinwollte und letztendlich auch gelangte.“
Nur, wer ist die Vernunft?
Sind es jene 1560 Gothaer, die bei der Bürgerbefragung vor zwei Jahren „ja“ gesagt haben zur Altstadtgalerie. Oder sind es jene 3500 Unterschriften, die die Bürgerinitiative gegen das Center zusammengetragen hatte.
Zum Interview mit Investor Josef Saller erreichten uns 3 (in Worten: drei) Leserbriefe – von Michael Gerlach , Sebastian Großkopf und Ulrich Maywald . Alle drei gehören zur Bürgerinitiative gegen das Einkaufszentrum. Inzwischen heißt es im jüngsten offenen Brief der Bürgerinitiative an Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD), dass mit dem neuen Plan nur „der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben“ werde.
Ist das die Minderheit, von der Saller sprach? Oder ist damit die Meinung der Gothaer Bürgerschaft wirklich proportional repräsentiert? Und was sagt die schweigende Mehrheit?