| Lesedauer: 6 Minuten
GOTHA. In der ehemals gut frequentierten Einkaufszeile stehen etliche Geschäfte leer. Gewerbevereine und Stadt sprechen von Sanierungsstau.
Die Jüdenstraße wirkt abgehängt. Sie war mal 1a-Lage der Gothaer Innenstadt. Jetzt stehen dort mehr als zehn Läden und Geschäfte leer. Zuletzt, in diesem Frühjahr, hatte der gut frequentierte Blumenladen Döpping die Tür für immer geschlossen. Andere anerkannte Adressen wie Kürschner- und Lederwaren Gießmann oder das Reisebüro im ehemaligen Slovan gibt es dort längst nicht mehr, haben nur teilweise neue Nutzer gefunden.
Den aktuellen Leerstand nennt die Stadtverwaltung auf Anfrage bedauerlich. Dieser sei teilweise auch bereits ein Ergebnis der Bestrebungen zur Belebung der Innenstädte – nur durch die Sanierung der Läden und Gebäude ließen sich zukunftsfähige Geschäftsflächen und Nutzungen wieder etablieren.
Leerstand aufgrund zu großer Flächen und Sanierungsstau
„Unser Problem in Gotha ist nicht der Leerstand per se, sondern der Leerstand aufgrund der baulichen Struktur und Mängel“, findet auch Andreas Dötsch, Vorsitzender des Gothaer Gewerbevereins. Es gebe zwar jede Menge Interessenten für geschlossene Geschäfte in der Innenstadt, aber wegen zu großer Fläche oder des Sanierungsstaus würden sie davon Abstand nehmen, weil es sich im Endeffekt nicht lohne. Das beste, jüngste Beispiel dafür sei das Kaufhaus Moses, das von der Erfurter Straße an den Ekhofplatz umgezogen ist. Als weiteren Grund für Schließungen in der Jüdenstraße nennt Dötsch verändertes Laufverhalten der Kunden.
Mit Eröffnung des Kauflands in der ehemaligen Kaserne Bürgeraue und einem großen Parkplatz sei die Überlegung einhergegangen, bis zum ehemaligen Kaufhaus Kressner am Ekhofplatz eine Einkaufsmeile zu ziehen. „Mit Parkplatz Bürgeraue entstand der Bürgeraue-Überweg Richtung Blumenbachstraße. Dadurch hat sich der historisch gewachsene Weg Liebetraustraße/Waltershäuser Straße zur Innenstadt von der Jüdenstraße dorthin verlagert“, erinnert Dötsch. Das habe zur Verödung des Quartiers nördlicher Hauptmarkt/Jüdenstraße beigetragen.
Selbst bei Veranstaltungen auf dem großen Platz zwischen Rathaus und Wasserkunst, sei in der Jüdenstraße meistens gar nichts los, stellt Nicole Nguyen fest, die einen Minipreismarkt mitten in der Einkaufszeile betreibt. Mit Inbetriebnahme der Poller im September vergangenen Jahres sei der Kundenstrom noch weiter abgeebbt.
Was ein neuer Überweg hinsichtlich des innerstädtischen Geschäftsbetriebs bewirke, das sei am Beispiel Pfortenstraße zu sehen, stellt Dötsch fest. Nachdem mit Eröffnung des Altstadtforums ein zweiter Überweg an der Gartenstraße vor etwa einem Jahr freigegeben wurde, sei in der Pfortenstraße eine Belebung zu spüren: „Es gibt neue Geschäftsansiedlungen.“
André Amberg, Inhaber eines Friseurgeschäfts dort, registriere etwa 60 Prozent mehr Laufkundschaft, berichtet Dötsch. Selbst der Rewe-Markt im Altstadtforum habe vier Prozent mehr Umsatz im Zuge des neuen Überwegs erzielt.
Dötsch spricht sich deshalb für Rücknahme des Überwegs in der Bürgeraue aus: „Das würde unweigerlich zur stärkeren Frequentierung des Übergangs Liebetraustraße führen.“ Auch die BGG, könnte davon profitieren, die in der Jüdenstraße jede Menge Gewerbe habe. Unter anderem lässt das städtische Unternehmen im Karree Plattenbau-Wohnungen in eine Jugendherberge umbauen.
Neue Jugendherberge soll zum Multiplikator werden
Die Hoffnung der Stadt zur Wiederbelebung der Jüdenstraße verknüpft sich mit deren Bau und geplanter Inbetriebnahme im nächsten Jahr. „Das wäre ein Bomben-Multiplikator“, findet auch Dötsch, fügt aber hinzu: „aber allein nicht der Zubringer für die gesamte Straße.“
Vor allem müsse der Sanierungsstau des innerstädtischen Gebäudebestands behoben werden. Das lasse sich nicht kurzfristig realisieren. Das gelte auch für die Erfurter Straße. Es gebe häufig Wohnungen über den Geschäften im Erdgeschoss, deren Eingänge mitunter durch Läden führen. „Da können wir nur hoffen, dass die Ladeninhaber noch möglichst lange arbeiten.“
Unter dem Stichwort Poller und Verkehrsberuhigung fragt Dötsch rhetorisch, was die kommenden Jahre unter Innenstadtbelebung zu verstehen sei. Seine Antwort lautet: „So bitter das klingen mag: Der Einzelhandel wird in Zukunft eine kleinere Rolle spielen.“ Die Innenstädte würden sich mehr zu Begegnungsstätten für Kunst, Kultur, Gastronomie wandeln, was nicht im direkten Wettbewerb mit Internet, digitalen Handel stehe. „Das muss eine Stadt mit im Auge behalten.“ Dazu gehöre eine Beruhigung der Innenstadt, sagt Dötsch wohl wissend, dass das bei manchen auf Missverständnis stoße. „Aus meiner Sicht ist diese Transformation der einzige gängige Weg.“ Er verwende bewusst nicht das Wort Verödung; Dötsch: „Denn wir haben einen Wandel und eine Nutzungsänderung von Städten.“
Optimistisch fügt der Gewerbevereinschef hinzu: „Da sind wir in Gotha sehr gut aufgestellt.“ Positiv wirke sich die lange vom Gewerbeverein geforderte Etablierung eines City-Managements aus. Die meisten in Thüringen seien für zwei Jahre über Fördermittel angelegt. Im Gegensatz dazu habe die Stadt Gotha Elisabeth Kupfer vor mehr als drei Jahren als City-Managerin angestellt. Dötsch: „Ihre Arbeit spüren wir.“ Sie sei zum Bespiel permanent dran, das alte Moses-Kaufhaus neu zu beleben.
Wandel der Innenstadt zu Begegnungsstätten
In der Jüdenstraße werde dieser Wandlungsprozess jetzt sichtbar. Sie sei Ankerpunkt im Westen der Fußgängerzone der Gothaer Innenstadt, stellen die Stadtplaner fest. Mit der Drogerie Müller und dem Wild- und Geflügelladen gebe es dort noch attraktive und wichtige Ladengeschäfte. Jedoch sei für die Randlage zum Hauptmarkt noch deutlich mehr Potenzial aus der Straße zu holen, heißt es dazu seitens der Stadtverwaltung.
Aktuell werde die Jüdenstraße (Ecke Klosterplatz) von der Baustelle für die Jugendherberge geprägt. Direkt im Anschluss, im alten Möbelhaus Simon, werden nach Fertigstellung der Jugendherberge die Arbeiten an einem Spiele- und Freizeithaus beginnen. Es werde an einem Konzept gearbeitet, wie man für Jugendliche Indoor-Freizeitangebote in der Innenstadt in Kombination mit der Jugendherberge aufbauen kann. Auch das ehemalige Slovan, Jüdenstraße/Ecke Hauptmarkt, solle nach dem Umbau einer neuen Nutzung zugeführt werden.
Alle diese Maßnahmen seien nur dank der Baugesellschaft Gotha, stetigem Einwerben von Fördermitteln, hohem Einsatz städtischer Mittel und Mitwirken wichtiger Akteure wie dem Jugendherbergsverband und der Stiftung Schloss Friedenstein möglich – laut Stadtverwaltung auch nur nacheinander.
Aber am Ende werde die Jüdenstraße eine starke Belebung erfahren und damit Initialzündungen für weitere private Investoren und Geschäftsgründer in der Jüdenstraße und im weiteren Umfeld darstellen, lautet die optimistische Prognose.